Börsegeschichten für BoerseGeschichte - Finanz-Kommunikation im Wandel (Bernhard Grabmayr)

24.09.2020

Ich kam 1986/87 das erste Mal mit dem Kapitalmarkt in Berührung, als ich in der Pressestelle der Creditanstalt in das Team berufen wurde, das die erste Teilprivatisierung der damals noch Österreichischen Mineralölverwaltung, der späteren OMV, vorbereitete. Die Wiener Börse war aus ihrem Dornröschenschlaf aufgewacht, Unternehmen kamen an die Börse und prinzipiell herrschte eine freundliche, neugierige Aufbruchstimmung. Compliance und Investor Relations waren noch Fremdworte, die nur Insider kannten … apropos Insider … dazu komme ich später noch. Die Wiener Börse war rechtlich eine Kammer, und der Job des Börsekammer-Präsidenten war unter den Bankchefs sehr begehrt, weil man als Kammerpräsident einen höheren Orden bekam denn als Bankchef.

Professionalisierung. Ich habe seit dem Jahreswechsel 1986/87 aus meiner Kommunikationsposition alles mitgemacht, was die Wiener Börse zu bieten hatte: Kursanstiege und mehrere Börsenneuzugänge pro Jahr, dramatische Kursstürze, den ersten gleich 1987, unheimliche Steigerungen des Kursniveaus um mehr als 100 Prozent innerhalb von 12 Monaten, ausländische Investoren, die den Schottenring stürmten und dann dauerhaft mieden, Privatisierungen und IPOs von privaten Unternehmen, Gründung einer Optionenbörse, Rückzug von der Börse, Squeeze Outs und dergleichen mehr. 

Die Kommunikation hatte sich im Gegensatz zur Volatilität der Börsenentwicklung beständig professionalisiert, schon sehr bald war das Niveau der Investor Relations-Kommunikation auf internationalem Niveau.

Unabhängigkeit. Was ich im Rückblick über die gut 30 Jahre interessant finde, ist die Entwicklung der Haltung, mit der Unternehmer und Verantwortliche an den Kapitalmarkt herantraten. Zur Zeit der Privatisierung war die Börse eine externe Quelle von Kapital. Die Verkäufer bemühten sich um Transparenz und einen fairen Emissionspreis, weil sie noch andere Unternehmen über die Börse privatisieren wollten, für die Vorstände bedeutete der Börsengang ein Stück Unabhängigkeit von der Politik und einen Schritt hinaus in die Welt des Unternehmertums und die Investoren versuchte man freundlich auf Distanz zu halten. Die hatten ja auch nie die Mehrheit. Großes Augenmerk wurde auf den österreichischen Privatanleger gelegt, denn man wollte angesichts gähnend leerer Staatskassen und einer ersten Ahnung von ungeheuerlich großen Pensionslücken die private Vorsorge stärken. Insgesamt erwies sich der österreichische Weg der Privatisierung als Erfolg, weil die privatisierten Unternehmen dank des Wettbewerbs mit anderen kapitalsuchenden Konzernen ihre Effizienz steigerten. Die Vorstände konnten dank ihrer neugewonnenen Kapitalmarktkompetenz und der internationalen Vergleiche mit Peers ihre Vorstellungen gegenüber Politik, Aufsichtsrat und Betriebsrat leichter durchsetzen.

Insider & Ego-Maniacs. Die Privatisierungen hatten wenig mit kurzfristiger Optimierung des Unternehmenswertes zu tun, sondern mit langfristigen Strategien. Das kann man auch daran erkennen, wie zum Beispiel bei den Transaktionen ÖMV und Böhler-Uddeholm vorgegangen wurde. Beide Erstnotizen fielen in Zeiten, als die Kurse dramatisch abstürzten. Die internationalen Emissionskonsortien wollten die IPOs absagen, die Verkäufer, die Vorstände und die heimischen Banken zogen die Transaktionen mit reduziertem Volumen und reduziertem Preis jedoch durch. Die Richtigkeit dieser Strategie zeigte sich später im Vergleich: Die Unternehmen, die zur gleichen Zeit ihre Transaktionen absagten, schafften später nie mehr den Sprung an den Kapitalmarkt oder nur zu schlechten Bedingungen, während die österreichischen Titel sich nach und nach erholten, am internationalen Parkett Vertrauen aufbauen konnten und den Zugang zum Kapitalmarkt über secondary offerings oder Kapitalerhöhungen nutzten. 

Diese Einstellung zu Kapitalmarkt, nämlich Langfristigkeit, Partnerschaft, Fairness und Transparenz, Freude an Wettbewerb kam mir entgegen und schien mir für alle Teilnehmer gewinnbringend, blieb aber im Laufe der Zeit nicht vorherrschend. Über die professionellen Insider habe ich ja bereits ganz am Anfang nicht gesprochen, über substanzlose Ego-Maniacs ebensowenig, denn die gibt es überall.

Bernhard Grabmayr ist seit mehr als 30 Jahren im Bereich Financial Communication und Corporate Communications tätig und begleitete u.a. die Börsengänge von Telekom Austria, Österreichische Post uvm.

Aus dem "Börse Social Magazine #44" - 1 Jahr, 12 Augaben, 77 Euro. Ca. 100 Seiten im Monat, ca. 1200 Seiten Print A4



Bildnachweis

1. BSM #44

BSM #44



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Mit freundlicher Unterstützung von Rudolf Brenner, Alexander Coenen, Thomas Erkinger, Helmut Fleischmann, Markus Fröhlich, Katrin Gögele-Celeda, Bernhard Grabmayr, Martin Grüll, Peter Heinrich, Margit Hermentin, Ernst Huber, Gerhard Kürner, Susanne Lederer-Pabst, Robert Löw, Wolfgang Matejka, Ludwig Nießen, Wolfgang Praskac, Wilhelm Rasinger, Alexandra Rosinger, Gregor Rosinger, Roland Rupprechter, Stephan Scopetta, Herbert Scherrer, Udo Sutterlüty, Ernst Vejdovszky, Eduard Zehetner.


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